Unser Newsletter September 2024

In dieser Ausgabe haben wir inhaltliche Beiträge präsentiert von unseren Kolleg*innen 
Dr. Lars Charbonnier, Markus Stammnitz und Frank Dölker. In dieser Reihenfolge finden Sie diese Beiträge hier.

Wir und Ich, Innen und Außen, Transformation und die Reise der Held*innen – das Konzept hinter unserem Newsletter

Illustration: Robert Wieczorek


Im besten Fall lesen Sie nun den vierten Newsletter seit unserem Relaunch im Juni 2024 (ansonsten lesen Sie hier gern nach!). Vielleicht haben Sie sich in der Mischung der Beiträge gefragt, nach welchem Prinzip wir sie zusammenstellen? Tatsächlich, es gibt ein Konzept, das über „Wer gerade Zeit hat“ oder „Wofür wir dringend noch werben müssen“ hinausgeht. Auch die Akademie für Kirche und Diakonie befindet sich ja, wie viele in Diakonie und Kirche gerade, in einem Veränderungsprozess, einer Transformation. Nicht nur wurde aus bakd und fakd die akd, auch das Programm profilieren wir, fokussieren wir, entwickeln wir weiter. Mit unserer Konzentration auf Organisationsentwicklung in Kirche und Diakonie und den zwei Brennpunkten Führung und Verantwortung in der Fort- und Weiterbildung von Mitarbeiter*innen haben wir uns zwei Modelle gewählt, die uns im Sichtbarmachen und Einordnen helfen. 

Das integrale Modell organisationaler Entwicklung nach Ken Wilber

Das ist zum einen das integrale Modell organisationaler Entwicklung und drastischer von Transformation nach Ken Wilber. Er beschreibt vier Quadranten, die vier Perspektiven ganzheitlicher Veränderungen in einer Organisation umfassen:

  • die Ich-Perspektive im Innen konzentriert auf die Haltung, auf das Denken und Fühlen.
  • die Wir-Perspektive im Innen konzentriert auf die Kultur, auf Werte und Beziehungen.
  • die Ich-Perspektive im Außen konzentriert auf das Verhalten, auf Wissen und Fähigkeiten.
  • die Wir-Perspektive im Außen konzentriert auf die Struktur, auf Prozesse, Produkte, Leistungen.

Die Heldenreise nach Joseph Campbell

Die Heldenreise nach Joseph Campbell beschreibt einen universellen Erzählzyklus: Der Held wird zum Abenteuer gerufen, widersteht zunächst, folgt dann aber dem Ruf. Auf seiner Reise trifft er Mentoren, überwindet Prüfungen und wächst dabei innerlich. Nach einer entscheidenden Krise oder Konfrontation erlangt er eine tiefere Erkenntnis oder besondere Kraft. Schließlich kehrt er mit diesem Wissen zurück, um die Gemeinschaft zu heilen oder zu bereichern, und findet seinen Platz in der Welt neu definiert. 
Wenn wir dieses Modell aufnehmen, dann nicht, weil wir alten Heldenmustern nachhängen, sondern weil wir das Erzählmuster auch als Erfahrungsmuster insbesondere bei Führungskräften und Verantwortungsträger*innen kennen – wie schon die Bibel übrigens, etwa bei Jona und anderen Prophet*innen. 

Die Verbindung beider als unsere Orientierung

Im Rahmen unserer Programmprofilentwicklung haben wir beide Modelle übereinandergelegt und versucht zu sortieren, wo unsere Angebote so hingehören. Das war sehr spannend und aufschlussreich. Es gibt bei uns Angebote, die wandern durch die Heldenreise und alle vier Quadranten. Und andere sind sehr konzentriert auf einen Aspekt, in einem Quadranten, an einer Station. Nun schauen wir gerade, wo wir weniger und auch wo wir mehr brauchen. Und: Wir haben dieses zur konzeptionellen Grundlage unseres Newsletters gemacht: Alle vier Monate wandern wir durch die vier Quadranten und die Stationen der Heldenreise. Im Juni haben wir mit dem Ich im Innen begonnen, es folgte das Ich im Außen, das Wir im Außen und nun lesen Sie über das Wir im Innen, womit wir Themengebiete verbinden wie Wandlungsvermögen, Personalentwicklungskultur, Stakeholderbeziehungen, Zukunftsausrichtung oder Lernkultur.
Unsere Beiträge bleiben dafür hochgradig unterschiedlich – und bilden so die bestehende Pluralität der akd ab. Sie lesen gleich etwas über Wissensmanagement in Organisationen im Sinne ihres intellektuellen Vermögens von Markus Stammnitz. Und Sie lesen, wenige Tage nach dem Tag der wohnungslosen Menschen, wie sich Frank Dölker guten Wandel vorstellt, der von innen kommt. Viel Spaß dabei!

Dr. Lars Charbonnier, Geschäftsführer und Studienleiter der akd gGmbH

Vom „intellektuellen Vermögen“ einer Organisation


Foto: Robert Wieczorek

Es vergeht kein Tag in der Arbeit, an dem wir nicht erleben, dass unser spezifisches Wissen von Kolleg*innen nachgefragt wird und die Zurverfügungstellung desselben die Fragenden in ihren fachlichen Herausforderungen weiterbringt. Nicht selten beantwortet man in regelmäßigen Abständen sich gleichende Fragen, und das auch nicht selten von derselben Person. Und dann fragt man sich, wie das sein und wie man dem Kreislauf dieser Wiederholungen entrinnen kann, der ja letztlich die Ressourcen der Fragenden und die der Befragten bindet. Es lassen sich diverse externe und beiderseits persönliche weitere Faktoren hinter diesem Verhalten vermuten. Um eine praktische Lösung und für den Erfolg einer Organisation zugleich wesentliche Haltung soll es nachfolgend gehen.
Wie stellen wir sicher, dass das richtige Wissen zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar ist und effektiv und v.a. für alle Mitarbeitenden genutzt werden kann, unabhängig davon, ob die Wissensträgerin erreichbar ist? Die instinktive Antwort: Wir managen das - systematisch, offenkundig, aktuell und nachhaltig! Und zwar mit dem Ziel, den vorhandenen als auch den stetig neu generierten Erfahrungsschatz unserer Organisation effizient einzusetzen, um in jedem Fall arbeits- aber eben auch innovationsfähig sein zu können.

Wie gelingt ein funktionierendes Wissensmanagement?


Es gilt, eine Kultur zu etablieren, die den Wert von Wissen anerkennt und den Wissensaustausch unterstützt, und zwar bidirektional – soll heißen, Sender*in und Empfänger*in sind gleichsam berechtigt und befähigt, das für alle relevante Wissen der Organisation zu nutzen, zu kommunizieren und weiter aufzubauen. Der Einsatz von Wissen zur Verbesserung von Entscheidungsfindungen, zur Steigerung der Effizienz und Effektivität von Geschäftsprozessen, die Nutzung von Wissen zur Entwicklung neuer Produkte, Dienstleistungen und Lösungen für bestehende Probleme sind wohl die häufigsten Anwendungsfelder, für die eine Strukturierung des intellektuellen Vermögens einer Organisation bedeutend sind.

Praktisch heißt das: Wir erfassen explizites Wissen, das mittels Handbücher, Berichten, Datenbanken oder Prozessdokumentationen leicht kommuniziert und weitergegeben werden kann. Wir identifizieren ebenso implizites oder taktisches Wissen, das in den Köpfen der Mitarbeitenden steckt und oft durch Erfahrung und persönliche Fähigkeiten erworben wird.

Wir fördern kreative Prozesse, etablieren strukturierte, wissenschaftliche oder experimentelle Ansätze zur Schaffung und Entwicklung neuen Wissens, wir analysieren Erfolg und Misserfolg, um daraus neues Wissen abzuleiten.

Wir kategorisieren, klassifizieren und speichern Wissen in Informationssystemen und Datenbanken, um schnell orientiert sein zu können.

Wir unterstützen den Wissensaustausch und die Verteilung von Wissen schon lange durch den Einsatz von Technologie (E-Mail, Intranet, Wiki). Wir setzen schon jetzt Künstliche Intelligenz zur Analyse und Nutzung großer Wissensbestände ein, und werden uns zukünftig diesen modernen Technologien bedienen, um z.B. zeitintensive Aufgabenstellungen abzukürzen.

Wir schaffen interne und externe Netzwerke, Gruppen und Teams. Wir fördern Bildung, organisieren Trainings und Workshops. Allein regelmäßige interne Meetings und deren nachhaltige Ergebnisdokumentation, fördert das Reflektionspotenzial entwicklungsrelevanter Themen.

Weitere bewährte Methoden und Strategien, die Organisationen dabei helfen, Wissen effizient zu erfassen, zu organisieren, zu teilen und zu nutzen, lassen sich leicht und übersichtlich in der größten, weltweit vernetzten Wissensdatenbank Internet recherchieren, oder noch beeindruckender und plastisch im Austausch mit anderen Organisationen oder Branchen.
Drum sei zum Abschluss noch ein Aspekt des Wissensdurstes arbeitsorganisationaler Systeme beleuchtet, und zwar der des Aufwands, der damit einhergeht, all das oben Beschriebene, so einleuchtende zu verwirklichen.
Neulich saß ich mit drei Pädagoginnen aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern beieinander, und alle waren sich einig, dass die Entwicklung hin zu Digitalisierung v.a. ihrer dokumentarischen und berichtenden Aufgaben ja verständlich und richtig sei. Bei der Umsetzung dieser Transformation hapere es allerdings schon lange - hauptsächlich hinsichtlich der Befähigungsmöglichkeiten und der technisch einwandfreien Infrastruktur. Mithin bliebe allen weniger Zeit für ihre eigentlichen Kernkompetenzen, nämlich die der Zuwendung zu den anvertrauten Menschen.
Wie man diesen für viele Menschen und Organisationen tiefgreifenden Veränderungsprozess, der mit der Digitalisierung einhergeht, gut verstehen und gestalten lernt und mit weiteren Feldern - wie dem des Wissensmanagements – verbindet, vermitteln wir neben vielem anderen bei der Akademie für Kirche und Diakonie.

Markus Stammnitz, Prokurist und Studienleiter der akd mit den Schwerpunkten Digitalisierung und Finanzwesen.

Guter Wandel kommt von innen

Foto: Frank Dölker

In der belebten Stadt Lichtfeld gab es ein Viertel, das als Sonnenplatz bekannt war. Hier lebten Menschen aus verschiedenen Kulturen und Milieus zusammen. Im Zentrum des Viertels stand die alte St. Marienkirche, die seit einiger Zeit diakonische Verantwortung im Quartier übernommen hatte.  Pfarrer Johannes war neuer Geschäftsführer. Er hatte eine Vision von sozialem Wandel von Organisationen, der sich an christlichen Werten orientiert und eine Lernkultur auf allen Ebenen kultiviert.
Samuel war ein engagierter Streetworker, der sich besonders um die Wohnungslosen und Benachteiligten kümmerte. Er war stets an fachlicher Bildung interessiert, nahm an Weiterbildungen und spezifischen Tagungen teil, teilte seine neu erworbenen Qualitäten mit anderen, stand für interne Beratung bereit und wurde dadurch eine sehr verantwortliche Person in der Organisation.
Eines Tages traf er auf eine Romnja-Familie, die durch Rassismus und Vorurteile in große Not geraten war. Die Familie, bestehend aus der Mutter Esma und ihren Kindern Lilo und Jarek, hatte keine feste Bleibe und kämpfte ums Überleben.
(Lesen Sie hier weiter….)

Samuel erkannte die Dringlichkeit ihrer Situation und wandte sich an Pfarrer Johannes. Gemeinsam beschlossen sie, das Gemeinwesen noch mehr zu stärken und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um der Familie zu helfen.
Allerdings standen Samuel und Johannes vor einer großen Herausforderung. Der Zeitgeist war in ihren Augen zu sehr von neoliberalen und rechtspopulistischen Werten geprägt.  Viele Leute im Viertel interessierten sich mehr für ihre Gewinne und ihr öffentliches Image als für das Wohl aller Menschen.
Um das Bewusstsein für die Situation der Benachteiligten zu schärfen, entschlossen sich Samuel und Johannes, Ideen umzusetzen, die Samuel von der letzten Streetworktagung mitgebracht hatte.  Sie starteten einen Podcast namens "Stimmen der Straße", in dem unterprivilegierte  Menschen ihre Geschichten erzählten. Diese authentischen Berichte rüttelten viele Zuhörer*innen auf und zeigten die Realität hinter den glänzenden Fassaden der Stadt.
Zusätzlich organisierten sie eine Ausstellung mit beeindruckenden Fotos, die das Leben auf der Straße dokumentierten. Diese Bilder wurden in der St. Marienkirche und in lokalen Gemeinschaftszentren gezeigt und lösten eine Welle des Mitgefühls und der Solidarität aus.
Samuel nutzte seine Leitungskompetenz und sein Verständnis von Teamdynamik, um ein Netzwerk von Unterstützern zu mobilisieren. Gemeinsam mit Pfarrer Johannes, der Gruppe der "Guten Menschen" der Gemeinde und anderen Freiwilligen setzten sie sich dafür ein, langfristige Lösungen zu finden. Sie entwickelten ein Programm zur Schaffung von kurzfristig verfügbarem Wohnungen, boten Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für die Bedürftigen an und entwickelten ein Konzept zur sozial engagierten städtebaulichen Veränderung mit dem Beginn des Wohnungsbaus auf ihrem Kirchengelände. Sie erfanden ein neues lukratives Geschäftsfeld.
Die Kirchengemeinde produzierte auch ein Imagevideo, das die Bedeutung von Diversity und gemeinschaftlichem Engagement hervorhob. Das Video zeigte die Erfolge des Projekts und ermutigte andere, sich anzuschließen und aktiv zu werden. Es verbreitete sich schnell und zog die Aufmerksamkeit von Menschen aus der ganzen Stadt auf sich.
Trotz des Widerstands von Teilen der „Etablierten“ gelang es Samuel und seinen Mitstreiter*innen, einen Wandel herbeizuführen. Der Wandel war ein innerer Wandel. Aus der sozialen Einsicht veränderte sich das Denken, Sprechen und Handeln.
Die Romnja-Familie fand ein neues Zuhause und konnte endlich ein sicheres und stabiles Leben führen. Die Ausstellung und der Podcast sorgten für eine größere Sensibilisierung der Öffentlichkeit und stärkten das Gemeinwesen. Die Wandlung der Organisation hin zum zukünftigen Betreiber von sozialem Wohnungsbau als neues Geschäftsfeld war ein Versprechen an die Zukunft.
Der Wandel von St. Marien wurde zu einem Leuchtturm der Hoffnung und ein Symbol dafür, dass bewusstes Leben und gemeinschaftliches Engagement den Herausforderungen der modernen Welt standhalten können. So leuchtete das Viertel Sonnenplatz als ein Beispiel für die Macht des gemeinsamen Handelns angesichts der Herausforderungen modernen Lebens.

Frank Dölker, Studienleiter mit den Schwerpunkten Gemeinwesenarbeit und Wohnungslosenhilfe