Unser Newsletter März 2025

In dieser Ausgabe finden Sie inhaltliche Beiträge von unseren akd Kolleg*innen Claudia Vogel, Michael Zirlik und Tilman Kingreen.

Macht in Organisationen

Bild: Freepik

Das Interview zwischen Robert Wieczorek und Claudia Vogel beleuchtet das Thema Macht in Organisationen, insbesondere im Kontext von Krisen, Veränderungsprozessen und Transformation. Beide sprechen über die Bedeutung von Macht und, wie sie in verschiedenen Hierarchieebenen und sozialen Beziehungen zum Tragen kommt.



Robert: Claudia bist Du eine Expertin zum Thema Macht?

Claudia: Nein. Doch mich interessiert das Thema sehr. Ich konnte Erfahrungswissen und Beobachtungen in über 10 verschiedenen Organisationskontexten sammeln. Und ich finde es ein Thema, welches für alle Organisationsmitglieder relevant ist.

Robert: Würdest Du sagen, dass Macht ein alltägliches Element in Organisationen ist?

Claudia: Absolut. Macht ist in jeder Organisation vorhanden – man könnte sagen, sie ist so allgegenwärtig wie das Atmen. Sie dient als Ordnungsprinzip in Hierarchien und beeinflusst, wie Menschen miteinander interagieren. Das zeigt sich etwa in der Kontrolle über Raum, Zeit und Informationen. Selbst in Organisationen mit flachen Hierarchien existieren Machtstrukturen, zum Beispiel durch die Steuerung von Besprechungen oder die Einflussnahme auf die Planung und Durchführung von Ereignissen. Zudem spielen oft sogenannte „graue Eminenzen“ eine bedeutende Rolle – also Personen mit viel Wissen und Erfahrung in der Organisation und über sie.
Ein Vorstand oder Geschäftsführer besitzt durch seine Position bereits Macht, doch oft verstärkt sich diese zusätzlich durch Budget- und Kostenstellenüberwachung, Netzwerke und seine Kontakte.

Robert:  Und wie unterscheidet sich Macht von Status?

Claudia: Der Unterschied, den ich sehe, liegt vor allem darin, dass Status mit Anerkennung und der Position innerhalb einer Gruppe zusammenhängt, während Macht die Fähigkeit beschreibt, Einfluss auszuüben und Entscheidungen zu treffen. Eine Person kann einen hohen Status haben (z.B. Bischof em), aber dennoch wenig Macht besitzen – etwa wenn ihr keine Entscheidungsbefugnis oder Handlungskompetenz (mehr) zugestanden wird. Umgekehrt kann jemand mit weniger formaler Macht, zum Beispiel durch lange Zugehörigkeit, spezielles Fachwissen oder ein wirksames Netzwerk, erheblichen Einfluss ausüben.

Robert: Welche Rolle spielt denn Macht in Veränderungsprozessen?

Claudia: Finde ich besonders aktuell, die Frage. Denn es wird spannend, wenn Organisationen sich im Wandel befinden. In solchen Phasen müssen Machtverhältnisse und Handlungsmöglichkeiten neu verhandelt werden, egal, ob sich gerade Leitbilder, Prozesse oder die Kultur wandelt. Veränderungsimpulse, ob von intern oder extern, führen dazu, dass Macht und Einfluss in der Organisation und den Gruppen/Teams neu verteilt werden müssen, was oft Spannungen und Aushandlungsprozesse nach sich zieht.
Die Wirksamkeit einer Führungskraft in solchen Situationen hängt m.E. stark davon ab, wie sie diese Verhandlungen führt und welche Handlungsoptionen sie nutzt, um die Organisation gezielt und vor- allem transparent für alle zu steuern. Denn Machtmissbrauch kann schlechte Stimmungen und viel Frust nach sich ziehen. Das wirkt sich direkt auf das Leistungsvermögen der gesamten Organisation aus.

Robert: Also Macht auf Menschen kann psychologische Auswirkungen bei ihnen auslösen?

Claudia: Mir sind bereits beide Seiten der Machtausübung begegnet.
Macht kann sowohl positive als auch negative psychologische Effekte haben. Oft wird auch über die „dunkle Seite“ der Macht gesprochen. Ein Beispiel aus meiner Vergangenheit zeigt, wie ein mächtiger Geschäftsführer seine Position ausnutzt, um seine Mitarbeitenden zu demütigen und einzuschüchtern – etwa durch bewusst inszenierte Machtspiele in Besprechungen, mit denen er seinen Einfluss demonstrierte. Solche Verhaltensweisen können Mitarbeiter verängstigen und das Teamklima erheblich belasten.
Gleichzeitig kann Macht aber auch positiv wirken, wenn sie transparent, respektvoll und verantwortungsvoll eingesetzt wird. In diesen Fällen ermöglicht sie es, Veränderungen anzustoßen, Entscheidungen fair zu treffen und ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen, das die Organisation voranbringt.

Robert: Welche Rolle spielt deiner Meinung nach Selbstermächtigung im Kontext der Macht?

Claudia: Selbstermächtigung ist ein entscheidender Faktor für wirksame Führung. Sie beschreibt für mich die innere Bereitschaft und Fähigkeit, eigene Ressourcen und Stärken zu mobilisieren.
Jeder/jede, doch in jedem Fall Führungskräfte, brauchen diese Selbstermächtigung, um aktiv zu gestalten und Veränderungsprozesse entlang der gesteckten Ergebniserwartungen vorantreiben zu können. Ohne den Willen zur Gestaltung wird es schwierig, im Besonderen in einer Führungsposition, erfolgreich zu sein. Eine gute Führungskraft setzt ihre Macht reflektiert ein und achtet darauf, dass ihr Einfluss positiv auf die Organisation und ihre Mitarbeiter wirkt.

Robert: Wie zeigt sich Macht im Kontext von Diakonie und Kirche?

Claudia: In Non-Profit-Organisationen, wie Diakonie und Kirche, funktioniert Macht oft anders als in klassischen Unternehmen. Sie wird weniger durch formale Hierarchien ausgeübt, sondern vielmehr durch gemeinsame Werte und Überzeugungen.
Wenn alle Mitarbeitenden denselben „Purpose/Zweck“ verfolgen – etwa das Gemeinwohl zu fördern, oder Menschen in Not zu helfen – verschmelzen persönliche und kollektive Interessen.
Dieser Ansatz kann sehr wirksam sein, doch ich sehe eine Herausforderung am Beispiel einer weiteren NGO aus meiner Vergangenheit: In Organisationen wie Greenpeace wird die gemeinsame Mission ständig, fast täglich sichtbar und in jedem Fall auf die Arbeit bezogen, sodass sie tatsächlich eine starke Kraft in den Teams entfaltet.
In Kirche und Diakonie hingegen fehlt es mir häufig an einer ebenso klaren und erlebbaren Kommunikation der gemeinsamen Werte. Dadurch bleibt wahrscheinlich viel Potenzial für Motivation und Einfluss ungenutzt.

Robert: Und nun noch eine letzte Frage: Welche Gefahren birgt Machtmissbrauch, und welche Verantwortung tragen Führungskräfte?

Claudia: Machtmissbrauch liegt aus meiner Sicht vor, wenn jemand seine Machtposition bewusst nutzt, um andere zu kontrollieren oder deren Handlungsfähigkeit einzuschränken. Dies führt nicht nur zu einer schlechten Arbeitsatmosphäre, sondern schwächt die gesamte Organisation, weil es einzelne Personen in eine machtlose und demütigende Position versetzt.
Deshalb ist es essenziell, dass Führungskräfte sich mit den Schattenseiten der Macht auseinandersetzen. Sie müssen ihre eigene Macht reflektieren und sicherstellen, dass sie diese nicht negativ ausnutzen. Gerade in Veränderungsprozessen ist es wichtig, Machtverhältnisse bewusst zu hinterfragen und zu lenken.

Fazit: Macht ist ein zentrales Element jeder Organisation und spielt eine entscheidende Rolle in Führung und Veränderung. Sie kann sowohl positiv als auch negativ genutzt werden. Führungskräfte sollten ihre Macht stets reflektiert einsetzen, um ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen. Besonders für Organisationen wie Diakonie und Kirche kann es hilfreich sein, sich stärker auf den gemeinsamen „Zweck/Purpose“ und klare Werte zu fokussieren, um Macht auf eine positive und nachhaltige Weise zu gestalten.

Claudia Vogel, akd Studienleitung

„Ringelpiez mit Anfassen“ oder: 
„Das lustvolle Spiel mit der Macht im Seminar“

Bild: akd


Montagmorgen, irgendwo in einem schicken Tagungshaus.  Am Start: ein exklusives Seminar für Führungskräfte. „Bitte mal alle aufstehen. Wir machen jetzt ein lustiges Speed – Dating, um uns kennenzulernen.“  Hier und da ein unwilliges Grummeln, aber letztlich erheben sich 15 erfahrene, hochbezahlte  Manager von Ihren Stühlen und tanzen nach meiner Pfeife. 
Ja, ich stehe dazu: Macht ist cool und erleichtert das Leben ungemein!


Eine Teilnehmerin: „Ist es in Ordnung, wenn ich heute 20 Minuten eher gehe, damit ich noch den früheren Zug zur Heimreise erreiche?“ „Nein“, sage ich und sehe ihr dabei fest in die Augen. Entsetzen und Überraschung liegen in der Luft und ich koste diesen Moment aus. Erst als sie einwilligt, bis zum Ende zu bleiben, löse ich die Situation humorvoll auf und spüre ihre Erleichterung.

Macht ist geil und macht Lust auf mehr!

Später im Seminar meine Anweisung: „Bitte geben Sie nun Ihrem*r Seminarpartner*in ein explizit kritisches Feedback!“
Wie weit könnte ich gehen? Bis wohin würden die Teilnehmenden mir folgen?
Ich erinnere mich an eine außergewöhnliche Erfahrung als Trainer und Coach vor vielen Jahren: Ein Konfliktmanagement – Seminar. Der Einstieg abends angelegt als inszenierter Konflikt: Mein Kollege und ich verweigern uns konsequent jeder Erwartung an unsere Trainerrolle: Wir erklären nichts, wir strukturieren nichts, sitzen einfach nur da, schweigen, beobachten was passiert, geben manchmal seltsame Kommentare ab. Wie lange werden die Teilnehmenden das mit sich machen lassen? Wann endlich platzt jemandem der Kragen, kommt es zur offenen Revolution gegen uns und zur Machtübernahme durch eine*n oder mehrere Teilnehmende? Der traurige Rekord lag bei über drei Stunden. Es war schockierend!
Zur Klarstellung: Ich mache meine Arbeit sicher nicht primär aus einem Macht - Motiv heraus, ansonsten hätte ich besser einen anderen Karrierepfad eingeschlagen. Aber ich weiß, dass Macht sowieso immer mit im Spiel ist. Und dann „spiele“ ich eben auch gleich richtig:

  • Ich platziere meinen Stuhl bewusst etwas abgesetzt, um meine Rolle als Dozent und Trainer zu markieren. Ich nutze die Kraft sozialer Normen: Nie käme jemand auf die Idee, diesen Stuhl zu besetzen!
  • Ich kleide mich bewusst höherwertig, um Status zu kommunizieren. Ein besonders subtiles Signal, das Kompetenz und Erfolg vermuten lässt und mein Ansehen erhöht.
  • Ich spreche mit langsamer, fester Stimme und gebe klare Anweisungen, um keinen Zweifel an meiner Intention aufkommen zu lassen. Es ist empirisch nachgewiesen: Das macht Eindruck, fördert Vertrauen und Respekt.
  • Ich strukturiere Zeit und Themen und sorge damit für Struktur und Sicherheit. Gleichzeitig mache ich mir dabei den Umstand zu Nutze, dass Menschen Angst vor Chaos und Unklarheit haben und denjenigen Macht geben, die sich als „Hüter der Ordnung“ inszenieren.

Das alles mache ich mit der guten Absicht, wertvolle Lernerfahrungen im Seminar zu ermöglichen! Macht also nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel um positive Ziele zu erreichen.
Aber ich frage mich oft was passiert, wenn sich Menschen mit weniger lauteren Motiven der gleichen Methoden und Instrumente bedienen. Beispiele hierfür gibt es genug.  Man betrachte nur die (Selbst-) Inszenierung mancher Politiker dies- und jenseits des Atlantiks.
Und während ich über diesen kleinen Einblick in die „Trickkiste der Macht“ schreibe gehen mir eine Reihe weitere Gedanken durch den Sinn:
Weil Macht sowieso ein natürliches soziales Phänomen ist, ist es auch sinnvoll, das Kind beim Namen zu nennen und nicht zu tabuisieren.

Macht ist per se weder gut noch schlecht. Es kommt darauf an, wofür und mit welcher Intention sie eingesetzt wird. 

Wer führen will braucht Macht. Sie ist schlicht und ergreifend notwendig, um etwas in Bewegung zu setzen.

Macht ausüben kann ich nur, so lange mir andere diese Macht zugestehen. Ansonsten sind Widerstand, geschicktes Umgehen, Kampf und / oder Trennung die Folge. Auch das habe ich in den Anfangsjahren meines Berufslebens schon erleben müssen.
Wichtig ist die innere Bereitschaft zur Annahme der Machtfülle. Ein Mindset, welches die Ausübung von Macht organisch mit einschließt. Und schließlich Bewusstsein über die eigene Wirkung und die Möglichkeiten, Macht nach außen bewusst zu kommunizieren.



Michael Zirlik, akd Studienleitung

Macht in der Kirche

Bild: Freepik

Das Thema „Macht“ ist der Kirche allein schon mit ihrer Ursprungsurkunde mitgegeben. Sie kann sich diesem Thema deshalb gar nicht entziehen. Ihr sind zwei Testamente, ein altes und ein neues, anvertraut. Sie hat damit die Vollmacht, diese zu vertreten. Sie legt sie entsprechend aus und übernimmt damit Deutungsmacht. Wenn das alles richtig ist, warum wird uns dennoch bei der Beschreibung dieser geistlichen Macht unheimlich? Es könnte daran liegen, dass wir erleben wollen, wie sie segensreich und richtig eingesetzt wird. Daran gibt es Zweifel. Die müssen ausgeräumt werden. Macht kann man nie besitzen. Macht wird verliehen. Sie beruht auf einem Vertrauensbund. Dieser Bund kann erneuert werden. Doch dazu muss alles, was dieses Vertrauen in Frage stellt, ausgeräumt werden. Diese Forderung nach Transparent steht nicht im Widerspruch zur Macht. Denn das Wort „Macht“ kommt nicht, wie oft irrtümlich gemeint, von „machen“. Macht mit „autoritärem Machertum“ gleichzusetzen, wäre ein Zerrbild. 


Macht kommt vom Althochdeutschen „können“, im Sinne von etwas vermögen, fähig sein, ermöglichen. In diesem Sinne erzählt auch die Bibel viele Geschichten von unterschiedlichen „Machtmenschen“ und davon, wie sie segensreich wirken. Neben den machtvoll Handelnden wie David im Kampf gegen Goliath (1.Samuel 17) oder Debora’s Sieg gegen den Feldherren Sisera (Deboras Siegeslied in Richter 5,1-31) stehen Personen, die Prozesse nachhaltig und entscheidend verantworten wie etwa die Prophetin Hulda, bei der wir heute sagen würden, sie hat einen entscheidenden Transformationsprozess bei der Erneuerung des Bundes zwischen Gott und Israel (Josianische Reform) geleitet und verantwortet (vgl. 2.Chr.34,22-28) oder Mose, der sein gesamtes Berufsleben hinweg ohne Unterbrechung ausschließlich ein Volk durch die Wüste führt (Exodus 15-18). Allein diese vier Personen verdeutlichen, dass es keine vorgefertigten Bilder gibt, wie Macht zu  gestalten ist. Alle Bildgewordenen Erwartungen werden durchkreuzt von der aktuellen Herausforderung, situationssensibel Maß und Form eigener Macht auszuprägen. 

 

Damit wird zugleich deutlich: Es braucht Macht in der Kirche. Machtlosigkeit oder Ohnmacht sind keine Alternativen. Es gibt keine „Ohne-Macht-Rolle“. Jede Rolle hat Macht. Es gibt allerdings in jeder Rolle Macht- und Ohnmachtserfahrungen. Mit ihnen ehrlich umzugehen, ist grundlegend, um keiner Machtphantasie zu erliegen oder die eigene Macht missbräuchlich einzusetzen. Jede Macht ist darum auch anstrengend. Sie erfordert eine ständige Selbstreflexion, indem ich mir Gelingendes und Misslingendes bewusst ansehe und frage: Habe ich meine Macht hilfreich eingesetzt? Was kann ich dazulernen und beim nächsten Mal anders machen? Eine solche Selbstprüfung fragt gerade nicht danach: "Bin ich wichtig?" Sie fragt danach: "Bin ich wesentlich? Macht mein Tun einen Unterschied und bringt es die gemeinsame Aufgabe in wesentlichen Aspekten nach Vorn.“ Der Fokus richtet sich damit auf die Aufgabe und die Problemlösung. Der Gebrauch von Macht wird daran gemessen, in welcher Weise er zur Problemlösung beiträgt. So entstehst am Ende Freude an dem verantwortlichen Gebrauch von Macht, wenn wir erleben, wie dadurch Vorhaben gelingen.  

 



Tilman Kingreen, akd Studienleitung