Eva-Maria Menard
ist Superintendentin im Kirchenkreis Prignitz.
Transformation von Kirche
Das Ende der Institution Kirche ist nicht das Ende der Sache Jesu.
Eine verfallene Kirche irgendwo im Nirgendwo. Licht fällt durch das eingestürzte Dach und die zerborstenen Fenster. In diesem Licht erkennt man eine Taufszene im Altarraum; in den Bänken sitzt die Gemeinde. Die Künstlerin Ursula Blancke-Dau beschreibt ihre Bilder, die sie mit Fotoapparat und Spraydose gestaltet, so:
„Aufgegebene Orte werden durch einfache Strichzeichnungen an den Wänden belebt. Ein Bahnhof, ein Schwimmbad, eine Kirche – jeder kennt solche Orte. Sie rufen ein eigenartiges Déjà-vu hervor, eine Art kollektiver Erinnerung.“ (www.blancke-dau.de)
Ich habe das Bild in einer Ausstellung im Perleberger Kulturkombinat entdeckt. Dort hing es großformatig, auf eine Plane gezogen, an einer alten Ziegelmauer. Mich hat das Bild so angesprochen, dass ich es mir – in kleinerer Version – gekauft und in mein Arbeitszimmer gehängt habe. Und ich habe Gemeindeglieder gefragt: Macht Sie das Bild traurig? Oder fröhlich? Möchten Sie den Blick resigniert abwenden – oder am liebsten gleich anpacken, die losen Bretter aufsammeln und das Dach provisorisch schließen? Was wäre eine gute Bildunterschrift?
Ist diese Kirche mit dem imaginierten Leben in ihr ein Ort der Trauer oder der Hoffnung, ein Ort der Resignation oder ein Moment zum Anpacken? Es hängt vom Blickwinkel ab, wie ich auf dieses Bild schaue – und was mir zuerst ins Auge fällt.
Diese Kirche ist verfallen, als Gebäude kaum noch zu retten, und doch ist so viel Leben in ihr: Eine Taufe – ein Mensch sagt „Ja“ zu Gott, der uns das Leben schenkt. Eine Gemeinde, die sich versammelt und das feiert.
An eine Wand hat die Künstlerin einen Chor gemalt. Die Sängerinnen und Sänger singen mit weit geöffnetem Mund (jeder Kirchenmusiker wäre begeistert) bestimmt gerade: „Lobe den Herrn meine Seele“ Es summt in meinen Ohren, ich möchte am liebsten einstimmen.
Das ist doch das, was uns ausmacht, was uns zu Kirche macht: Gott loben. Menschen mit Gott in Verbindung bringen. Gemeinde Jesu Christi sein.
Ich sehe in dem Bild nicht zuerst, was vielleicht einmal in dieser Kirche war, sondern was in ihr trotz aller Brüchigkeit sein kann: Leben, Verheißung, Gemeinschaft – in Gottes Licht getaucht.
Ob es uns gelingt, auch so auf unsere Institution Kirche zu schauen? Die ist ja ebenfalls löchrig und schadhaft – und als Institution kaum noch zu retten. Jedenfalls nicht so, wie sie einmal war. Und dennoch: Es geht um das Leben, das in ihr gelebt wird. Um die Hoffnung, die wir verkündigen. Um die Verheißung, aus der wir leben. Um das Licht, das durch die Ritzen und Löcher strahlt.
Und während ich diese Zeilen schreibe, entdecke ich plötzlich noch mehr auf dem Bild: Das Licht wirft den Schatten eines Fensterkreuzes an die gegenüberliegende Wand. Dort, wo gesungen und gebetet wird, da ist Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, mitten unter den Betenden.
Als Superintendentin in einem sehr ländlichen Kirchenkreis mit wenigen Menschen auf weitem Raum trage ich auch Verantwortung für 207 Kirchengebäude, 75 Friedhöfe und drei Kindertagesstätten. Ich möchte nicht, dass diese wunderbaren Kirchen verfallen oder die Friedhöfe, auf denen unsere Vorfahren ruhen, wüst liegen.
Deshalb arbeiten wir im Kirchenkreis gerade an Konzepten für unsere Kirchen, Friedhöfe und Kitas, die – in vielleicht zehn bis zwanzig Jahren – helfen mögen, diese großartigen evangelischen Trost- und Glaubensorte auch für kommende Generationen zu erhalten.
Bei all diesen Bemühungen hilft mir ein Satz, den ein Kirchenältester auf einer Klausur sagte: „Das Ende der Institution Kirche ist nicht das Ende der Sache Jesu.“ Das ist, finde ich, eine wunderbare Bildunterschrift.
Ja, unsere Kirche braucht Ressourcen, Mitarbeitende und Räume. Aber zuerst braucht es Christinnen und Christen, die sich zu ihrem Glauben bekennen, die für ihren Glauben einstehen, die aus ihrem Glauben Kraft schöpfen, um Kirche in der Welt zu gestalten.
Es braucht Christinnen und Christen, die beten:
„Bei dir, Gott, ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht.“
(Psalm 36,10)
Eva-Maria Menard ist Superintendentin im Kirchenkreis Prignitz.