Dr. Ricarda Schnelle
ist Studienleiterin an der Akademie für Kirche und Diakonie in Berlin
Long Player
Bild: Freepik
Ich bin mit den Fantastischen Vier groß geworden. Sie haben mich „troy“ (eins ihrer Hits) durch meine Kindheit und Jugend begleitet. Auch heute als Erwachsene höre ich gerne die Musik der Hip-Hop-Band. Ihr aktuelles Album heißt „Long Player“. Auch thematisch geht es auf dieser „Langspielplatte“ um die lange „legendäre“ – wie sie es selbst besingen – Bandgeschichte. Oft mit viel Selbstironie. Über 35 Jahre machen die „Fantas“ jetzt zusammen Musik. Smudo, Thomas D., And.Y und Michi Beck sprechen in Interviews darüber, dass sie nun auf die 60 zugehen. Es beschäftigt sie die Frage, wie sie im fortgeschrittenen Alter noch HipHop machen wollen und können. Auch das Thema „aufhören“ kommt in den Blick. Sie kündigen leise an, dass sie nicht ewig Musik machen werden.
Kirche ist ein Long Player. Das Christentum spielt seit über 2000 Jahren seine Musik in dieser Welt. Und auch die Kirche blickt auf eine über Jahrhunderte andauernde Geschichte. Da war nicht immer alles legendär. Und auch aktuell verändert sich die Situation – jedenfalls in unseren Breitengraden: Weniger Mitglieder, weniger Mitarbeitende und perspektivisch auch finanzbedingt eine neue Struktur. Wir wissen noch nicht, wie sie aussehen wird.
Die Kirche ist in meinem Leben ein Long Player und ich bin in der Kirche ein Long Player. Ich wurde klassisch kirchlich sozialisiert und bin emotional und auch beruflich gerne langfristig an diese Organisation gebunden. Ich bin ein „troyes“ Mitglied. Für mich und viele andere, die in dieser Weise mit der Kirche verbandelt sind, ist es derzeit manchmal verletzend, dass Kirche nicht mehr der große „Player“ ist. Wer will unsere Musik noch hören?
Die Bedeutungslosigkeit wirkt sich auch auf die aus, die in der Kirche arbeiten. Bis zum Ende Long Player? Vielen geht das Vertrauen abhanden, dauerhaft auf den Bestand und die Kraft der Kirche zu vertrauen. Dazu kommt: Long Player in der Kirche sein, das trifft nur noch für eine Minderheit zu. Viele sind punktuell in der Kirche gebunden oder wenden sich ab und treten aus. Und auch beruflich Mitarbeitende wechseln aus der Kirche in andere Bereiche. Alles kein Selbstläufer mehr.
Gott ist ein Long Player. Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ich mag dieses Bild. Ich vertraue auf seine Beständigkeit, die das Ende sogar überdauern wird. Das unterscheidet ihn maßgeblich von allen Hip-Hop-Bands und Kirchen. Auf diesen langen Atem Gottes zu vertrauen, ist für mich eine Kernbotschaft des Christentums. Sie muss immer wieder erzählt werden. Nach außen in die Welt und nach innen in die Kirche. Es ist die Aufgabe von Führungskräften, auf diese Langlebigkeit von Gott und Kirche zu verweisen und damit über das Aktuelle hinauszublicken. Aber gleichzeitig auch im Blick zu haben, dass die Beständigkeit der Kirche einer ihrer größten Schätze und gleichzeitig beschränkt ist. Es wird die Organisation nicht ewig geben. Und auch die einzelnen „Player“ werden irgendwann abtreten. Mich eingeschlossen.
Welche Platte legen wir zukünftig in der Kirche auf? Den Abgesang auf die vergangenen „legendären“ Jahre und eine Selbstthematisierung wie bei den Fantastischen Vier? Nach innen, etwa unter den Long-Player-Mitarbeitenden, ist die Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation wichtig, um mit ihr klarzukommen. Manchmal täte dieser Auseinandersetzung vielleicht ein bisschen mehr (Selbst)Ironie gut, ein bisschen mehr Leichtigkeit. Denn zum Aufhören, was in der Kirche in den kommenden Jahren zu einer Standarddisziplin werden wird, gehört die Kunst, sich nicht ganz so wichtig zu nehmen. Dann wird die Kirche neue Formen finden, in die Menschen reinhören wollen.
Und nach außen? Welche Platte legen wir da auf? Die Langspielplatte, auf der der „troye“ Gott zu hören ist. Immer und immer wieder. Er wird ewig gute Musik machen. Es lohnt sich in dieses fantastische Album reinzuhören. Egal ob kurz oder lang.
Dr. Ricarda Schnelle ist Studienleiterin an der Akademie für Kirche und Diakonie in Berlin