Diakonin Dr. Britta Lauenstein 

ist Studienleitung im Martineum e.V.  in Witten und Lehrkraft für besondere Aufgaben der Evangelische Hochschule RWL.

Wovon ich träume, wenn ich an eine 
zukünftige Kirche denke…

Zwei Szenen aus meiner Zeit als Leiterin eines CVJM-Jugendhauses in Herne im Ruhrgebiet:

Die Kirchengemeinde plant einen Gemeindehausneubau bzw. -anbau an das CVJM-Haus in direkter Nachbarschaft zur Kirche. Zur Beteiligung der Gemeinde und der Kinder und Jugendlichen wird ein Malwettbewerb veranstaltet. Auf der Vorlage die Kirche, der freie Platz und das CVJM-Haus. Das Motto: „Wir bauen unserer Zukunft ein Zuhause.“ Ein Kind malt einen Teich mit einer Ente. Kein Haus, keine Steine, sondern – eigentlich am Thema vorbei – einen Teich. Dieses Kind gewinnt den Wettbewerb nicht.
Im Rahmen der Offenen Arbeit hatten wir eine Zeitlang ein Elterncafé parallel zur Offenen Tür. Ziel war es, auch für die Eltern, v.a. die Mütter der Kinder, ein Angebot zu schaffen. Es waren zu 100% Mütter mit Migrationshintergrund und der Treffpunkt nicht bei allen Verantwortlichen beliebt („Das werden ja nie zahlende Kirchenmitglieder“). Bei der Zielgruppe hingegen schon. Ein Häkelprojekt zu den damals total angesagten Boshi-Mützen war ein großes Highlight.
10 Jahre später in unserer Schrebergartenkolonie am Rhein-Herne-Kanal. Wir bekommen neue Nachbarn. Mit Migrationshintergrund. Auf einmal steht die neue Nachbarin am Zaun und sagt mit totaler Begeisterung in der Stimme: „Ich kenn dich. Vom CVJM! Du bist doch die mit dem Häkeln!“
Aus diesen beiden Beispielen leitet sich mein Traum von der zukünftigen Kirche ab:
Zu den Menschen gehen. Zuhören, was die Menschen brauchen. Das Unerwartete tun. Für alle Menschen Möglichkeiten der Gemeinschaft und zu ihrer persönlichen Weiterentwicklung schaffen.
Ich höre schon die Frage der Kritiker*innen bei hochgezogenen Augenbrauen: Und wo ist da Gott? Wo ist die Mission? Wo ist das denn Kirche? Was soll denn aus der Kirche werden, wenn man so Kirche lebt?
Klassisch biblisch antworte ich mit dem sog. Missionsbefehl aus Mt 28 in der Übersetzung von Martin Luther (Rev. 1984): „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker. Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“ Klingt nach einer klaren Sache – ist es aber nicht. Luther übersetzt hier einen Imperativ, der im Original kein Imperativ ist. Der Anfang stimmt: „Geht zu den Menschen und macht sie zu meinen Jüngern.“ Meine Kirche der Zukunft lebt davon, dass sie genau das tut: zu den Menschen gehen, in die Welt gehen, dahin gehen, wo Menschen die Kirche brauchen, darauf hören, was die Menschen brauchen und das dann tun, mitunter gegen den Trend, gegen alle Erwartungen. Mit dem Ziel Menschen anzustecken, das gleiche zu tun und sich ebenfalls im Namen Jesu auf den Weg zu machen, wieder zu neuen Menschen. Gottes Volk auf dem Weg.
Die weiteren Imperative des „Missionsbefehls“ sind eigentlich keine, sondern „Begleiterscheinungen“: Die Partizip-Präsenz-Konstruktionen lauten: taufend und lehrend. Taufe und Lehre sind demnach eher Einladungen als Befehle und geschehen „en passant“, nebenbei, fast automatisch:

 (1 Für die folgende Erkenntnis hinsichtlich des „Missionsbefehls“ danke ich Harald Schroeter-Wittke und seinen Ausführungen zu diesem Thema, z.B. im Deutschen Pfarrerblatt 4/2016 „Kirche en passant“)

• Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen und will dazugehören. Und jede Gemeinschaft hat Aufnahmerituale und Zugehörigkeitskennzeichen. Die Frage ist, ob die Taufe zwingend  erforderlich ist oder ob es auch andere, nicht 
so stark mit Bekenntnis aufgeladene „Beitritts-“ oder „Zugehörigkeitsmöglichkeiten“ geben sollte. 

• Und der Mensch ist von Natur aus wissbegierig und neugierig. Der Mensch will lernen und der Mensch lernt lebenslang. Das mit dem Lehren und Lernen passiert also auch einfach mit sehr großer Wahrscheinlichkeit, nicht zuletzt, weil Lernen ja nicht nur Wissensvermittlung, sondern auch informelles und non-formales Lernen (also durch freiwilliges Lernen und durch das gemeinsame Leben und voneinander lernen) ist.

Wo also ist Gott? Mittendrin. Kommunikation des Evangeliums ist nicht nur eine Sache des Wortes, sondern v.a. der Haltung und der Tat. Eine Kirche, die so zu den Menschen unterwegs ist, wie ich es mir erträume, wird keine Kirche sein, in der Gott nicht mehr vorkommt. Und sie wird auch auf das Wort, auf die Bibel, nicht verzichten können. Die Menschen, die Kirche so erleben, wie ich es erträume, fühlen sich gesehen und gehört, ernst genommen und wertgeschätzt und werden irgendwann fragen: Woher kommt das? Was ist deine Überzeugung? Warum machst du das? Und dann ist es Zeit für das Wort. Gottes Geschichte mit den Menschen ist ein wertvoller Schatz. Die Menschen aller Zeiten stellen sich dieselben existenziellen Fragen: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Wozu sind wir auf der Welt? Der christliche Glaube, die Gemeinschaft der Christen, also: die Kirche, bieten Antworten an, die sich auf das Prinzip der Hoffnung gründen. Und von Hoffnung leben wir alle. In den aktuellen Zeiten mehr denn je.

Diakonin Dr. Britta Lauenstein ist Studienleitung im Martineum e.V.  in Witten und Lehrkraft für besondere Aufgaben der Evangelische Hochschule RWL.