Unser Newsletter Juni 2024

In dieser Ausgabe haben wir inhaltliche Beiträge präsentiert von unseren Kolleg*innen 
Robert Wieczorek, Dr. Gabriele Beckert und Tilman Kingreen. In dieser Reihenfolge finden Sie diese Beiträge hier.

Die Sache mit dem „Ich“ 

In vielen unserer Veranstaltungen geht es um das „Ich“, um Identität, um Persönlichkeit und um Haltung. Wir alle wissen, dass es zu diesem Thema ganz unterschiedliche Ansätze und Theorien gibt. Hier einige Überlegungen, um diesem berüchtigten „Selbst“ auf die Spur zu kommen und um Ihre eigenen Ideen und Impulse zu verstärken. 

 »Ich« ist weltweit das meistgenutzte Wort auf der Welt. Die Frage »Wer bin ich?« beschäftigt uns Menschen seit ewigen Zeiten. Nicht zuletzt deshalb gibt es unendlich viele Antworten auf diese Frage und oft zeigen sie, was einer Person gerade wichtig ist oder was in der Situation für das Wichtigste gehalten wird. Wenn man Leute auf der Straße dazu fragt, bekommt man Antworten wie: 

 

»Ich bin Bäcker, würde ich sagen.« 

»Ich bin Nishay. Aus der Türkei.«
 »Ich bin Unternehmer.« 

»Ich bin Mutter von zwei Kindern.«

Diese Aussagen beschreiben Aspekte unserer Identität, aber es würde sicher keiner sagen, dass sich die eigene Person auf den Beruf, den Namen oder das Geburtsland reduzieren lässt. Insbesondere die Philosophie, Soziologie, Psychologie und Theologie haben viele Erkenntnisse gesammelt, die das Spektrum der möglichen Antworten deutlich vergrößern. Begriffe wie Persönlichkeit, Charakter, das Ich, das Selbst, meinen im Grunde zwar alle das Gleiche, aber je nach Kontext haben sie eine ganz andere Bedeutung oder setzen auch einen anderen Schwerpunkt.

Wie entwickeln wir eigentlich eine Haltung?

Beim Menschen entwickelt sich die Identität in zwei Prozessen, nämlich im Prozess der Selbsterkenntnis und der Selbstgestaltung – der individuellen Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen. Die Selbstgestaltung ist ein Prozess, der von innen heraus, autonom und selbstständig geschieht. 

 

Selbsterkenntnis hängt eng zusammen mit dem Begriff der Selbstreflexion, der Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken. Das bedeutet, sein Denken, Fühlen und Handeln zu analysieren und zu hinterfragen, um mehr über sich selbst herauszufinden. Dabei können wir uns nicht nur selbst als individuelle Person hinterfragen, sondern auch als Teil eines Systems, zum Beispiel als Teil einer Familie, eines Teams oder einer Organisation. Also, das »Ich« im Zusammenspiel mit dem »Wir« betrachten.

Die eigene Wahrnehmung von sich selbst bezeichnet man dabei als Selbstbild (im Gegensatz zum Fremdbild, das beschreibt, wie andere die Person wahrnehmen). Wir haben meistens eine Vorstellung davon, wie wir sein möchten, und versuchen, unser Selbstbild an dieses Ideal- oder Wunschbild anzunähern. Das Selbstbild wird natürlich auch davon beeinflusst, welcher sozialen Gruppe wir uns zugehörig fühlen, anders herum wird die Fremdwahrnehmung durchaus davon beeinflusst, welcher Gruppe wir zugerechnet werden. 

 

Wir Menschen reagieren auf sozialen Einfluss, indem wir unsere Welt konstruieren, Urteile bilden, Entscheidungen treffen usw. Wir fühlen uns als Mitglieder von sozialen Gruppen, mit denen wir uns identifizieren und die wir gegenüber Fremdgruppen bevorzugen. Der tatsächliche Einfluss des sozialen Umfelds muss dabei gar nicht tatsächlich gegeben sein, die Vorstellung darüber genügt vollkommen. 

 

Der individuellen Identität gegenüber steht die kollektive Identität. Diese wird definiert durch gemeinsame Werte und Verhaltensweisen, die eine Gruppe befolgt oder die von außen der Gruppe zugeschrieben werden. Religion, Ethnie oder beispielsweise das Geschlecht können die Basis bilden für eine kollektive Identität. Dabei spielt Aus- bzw. Abgrenzung eine große Rolle: Was bedeutet es, Christ, Deutscher oder Mann zu sein und was trennt den Christen/Deutschen/Mann von der Buddhistin, Japanerin oder Frau? Was unterscheidet mich als Führungskraft von Mitarbeitenden? 

 

Die Einteilung in »Wir« und »Die Anderen« führt dabei zwangsläufig immer wieder zu Konflikten, Diskriminierung und auch kriegerischen Auseinandersetzungen. 

 

Die Identifikation mit einer Gruppe ist ein notwendiger Prozess zur Bildung der eigenen Persönlichkeit, indem man bestimmte Merkmale annimmt, die diese Gruppe charakterisieren: Man identifiziert sich damit. Trotzdem bleibt es eine Zuschreibung von außen. Gleichzeitig bildet man aber auch eine eigene, von Gruppen unabhängige Identität aus. 

Während des Studiums gehört man beispielsweise zur Gruppe der Studenten*innen. Der Eintritt ins Berufsleben bedeutet dann auch den Wechsel vom Studierenden zum Arbeitnehmenden. Der Übergang in die neue Gruppe der Arbeitnehmer*innen führt dazu, dass sich die eigene Identität verändert, sie passt sich den neuen Gegebenheiten an. 

Bei der sozialen Identität (auch Gruppenidentität, Wir-Identität, kollektive Identität) eignet sich der Einzelne bestimmte Kulturmerkmale an und markiert somit seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe, mit der er sich identifiziert. Kolleg*innen, die in eine Leitungsposition rutschen, können von solchen Übergangsprozessen ein Lied singen. 

 

Marken, Produkte und Organisationen sind in gewisser Weise wie Menschen. Deshalb legt die Akademie für Kirche in ihren Veranstaltungen großen Wert auf den individuelle Selbsterkenntnis-Prozess. Wer sich selbst kennt und versteht, hat bessere Chancen, andere Menschen zu führen und Organisationen zu entwickeln. 

Robert Wieczorek, akd Unternehmenskommunikation

Was hat ein Frühstücksbrettchen mit 
Persönlichkeitsentwicklung, Salutogenese und 
Sinnhaftigkeit zu tun?

2018 veröffentlichte der US-amerikanische Wirtschaftsprofessor David Graeber das Buch „Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit”. Die bittere Erkenntnis: Er beschreibt, dass ein Großteil der heute verrichteten Arbeit keinen gesellschaftlichen Nutzen erbringt, sondern „Fake Work” oder Scheinarbeit sei. Jede Arbeit hat unterschiedliche Grade „Care Work”, Arbeit, bei der anderen Menschen geholfen wird. Je höher dieser Anteil an „Care Work” ist, desto sinnstiftender werde die Arbeit bei den Menschen empfunden. 

Stellt man sich die Frage, was Menschen im sozialen Bereich brauchen, um ihr Berufsleben als sinnhaft zu erleben, lohnt es sich den Begriff der Salutogenese näher anzuschauen. In den 1970er Jahren entwickelte der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky das Salutogenese-Modell. Damals eine Sensation, da man in der Medizin Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit betrachtete. Das Wieder-herstellen der körperlichen Funktionsfähigkeit stand im Vordergrund, die Krankheit wurde im OP beseitigt. Patient*innen wurden nicht gehört und auch nicht in den Entscheidungen einbezogen. 


Antonovskys Fragestellung unterschieden sich von den bisherigen Ansätzen: Was führt dazu, dass Menschen gesund bleiben? Antonovsky stellte fest, dass das Gefühl von erlebter Sinnhaftigkeit, neben der Verstehbarkeit und Handhabbarkeit, wesentlich zur Gesundheit und zum Wohlbefinden beiträgt. Er nannte dieses Empfinden „Kohärenzgefühl“. Dieses Gefühl wird auch durch Lebenserfahrung, von der Gesellschaft, in der der Mensch lebt, und der sozialen Rolle, die der Mensch übernimmt, mitgeprägt. Ein Mensch kann flexibel und souverän auf die Herausforderungen des Lebens reagieren, wenn sein Kohärenzgefühl gut ausgeprägt ist. Sie fragen sich nicht, wie und durch wen das Problem entstanden ist, sondern suchen nach Lösungen. Sie wachsen an Herausforderungen und sehen Probleme als Erfahrungen, die zum Leben gehören. Sinnlosigkeit macht nach Antonovsky auf Dauer unglücklich und krank. Die Berücksichtigung salutogenetischer Prinzipien kann somit ein Leben in Balance unterstützen.


Der chronische Fachkräftemangel spitzt sich in allen Bereichen zu. Zeit für Zwischenmenschliches ist kaum noch vorhanden, weder mit den Kund*innen noch mit den Kolleg*innen. 

Die Gesundheit ist für viele Menschen das höchste Gut, wenn diese abhandenkommt, hat berufliche Verwirklichung oder finanzieller Erfolg wenig Bedeutung. Ein gesunder Mensch hat viele Wünsche, ein Kranker hat nur den einen Wunsch: „gesund werden“. 


Wer in Führungspositionen arbeitet, übernimmt Verantwortung, Verantwortung auch für seine/ihre Mitarbeiter*innen. Als Studienleitung der Akademie für Kirche und Diakonie, lassen Sie mich Ihnen die Angebote aus dem Programmbereich „Verantwortung“ ans Herz legen.

Zur Eingangsfrage:

Als ich pubertätsbedingt regelmäßig mit schlechter Laune meine Umwelt schikanierte, meinte meine Mutter, dass es unfair wäre, meine Umwelt mit meiner schlechten Laune zu bestrafen, sie hätte mir ja schließlich keinen Grund geliefert. An einem Sonntag gingen wir mit der Familie spazieren und auf einem dreckigen Auto hatte jemand den Spruch „Erwache und lache“ mit seinen Fingern auf die Windschutzscheibe geschrieben. Mein Vater lachte, zeigte auf den Wagen und meinte: „Jetzt habe ich ein Lebensmotto für dich“. Jahre später in einer Vorstellungsrunde der Teilnehmenden einer Weiterbildung zur Pflegedienstleitung stellte sich eine Teilnehmerin mit dem Motto: „Erwache und lache“ vor. Ich erzählte ihr meine Geschichte und zum Abschied der Weiterbildung bekam ich von ihr dieses Frühstücksbrettchen geschenkt, was mich fast jeden Tag fröhlich beginnen lässt.

Dr. Gabriele Beckert, akd Studienleiterin

Persönlichkeitsorientierter Arbeitsmarkt

War der Arbeitsmarkt nicht immer schon persönlichkeitsorientiert? Setzte sich die stärkere Persönlichkeit nicht schon immer bei Bewerbungsverfahren durch? Diese Vermutung ist trügerisch. Weder wird der Arbeitsmarkt durch solche Vorstellungen über dominante Personen zutreffend beschrieben, noch stimmt das dahinterliegende Bild, wie eine Persönlichkeit entsteht. Eine Persönlichkeit entwickelt sich. Sie ist nicht angeboren und mit den Genen einfach gegeben. Wir müssen sie entdecken. Sie will erkannt werden. Wenn wir Persönlichkeit nur als eine angeborene Eigenschaft des Menschen verstehen, dann wäre mit der Geburt schon alles vorherbestimmt. Dies führt zu Fehleinschätzungen wie jener: großer Körperbau bedeutet Führungsfähigkeit. Und es übersieht die Chance, die in einem lebenslangen Lernen liegt. Als ich im Jahr 2000 mit der Personalberatung im Raum der Kirche begann, herrschte seinerzeit noch Stellenknappheit. Doch selbst damals konnte ich Vorboten eines neuen Verständnisses von Persönlichkeit am Arbeitsplatz beobachten. Dies hat sich heute in Zeiten des Fachkräftemangels zu einer Grunderwartung weiterentwickelt, die den Arbeitsmarkt nachhaltig prägt. 

Ich hatte damals die Aufgabe, Theologinnen und Theologen bei Bewerbungen außerhalb der Kirche zu begleiten. „Was können Sie wirklich? Nein! Ich will nicht wissen, was Sie gelernt haben! Ich will wissen, was sie persönlich mitbringen. Worauf kann ich mich bei Ihnen verlassen?“ Unvergessen bleibt mir diese fast bedrängend vorgetragene Frage eines Personalentwicklers bei einer der großen deutschen Banken, die er dieser nach einer Stelle suchenden Gruppe von Theologinnen und Theologen damals stellte. Er fragte nach ihrem individuellen Gabenprofil. Sie wussten es nicht. Manche durchliefen daraufhin ein Assement-Center bei der Bank und entdeckten nun erst recht, wie sehr es auf ihre Persönlichkeit ankommt: „Welche Talente bringen Sie mit?“ „Wie kommunizieren Sie?“ „Wie gestalte Sie Zusammenarbeit?“ Solche Soft Skills hatten in diesem Kontext bereits den gleichen Rang wie die Examensnoten. Das war neu im Raum der Kirche. 

Diese Entwicklung hat sich in Zeiten fehlender Arbeitskräfte noch deutlich verstärkt. Was mich damals noch zum Staunen brachte, ist heute zu einer Grunderwartung geworden, die vor allem auch durch die Mitarbeitenden selbst an ihre Unternehmen herantragen werden. Menschen wollen in ihrer Wirkung und in ihrem Beitrag gesehen werden. Bei ständig wechselnden Aufgaben brauchen Mitarbeitende das Feed back wie das tägliche Brot. Denn je unübersichtlicher die Aufgaben werden, umso größer ist der Wunsch, „gesichtet“ und als Gesicht der eigenen Organisation wahrgenommen zu werden. 

Doch dazu müssen wir uns selbst kennen. Nur wer sich kennt, kann von anderen erkannt zu werden. Wir kennen unsere Hobbys. Aber kennen wir auch unsere beruflichen Fähigkeiten? Gesehen zu werden ist etwas anderes als gelobt zu werden. Gelobt wird Leistung. Doch der Mensch verschwindet hinter diesem Lob und seine Freude währt nur kurz. Schon bald überkommen ihm Zweifel: „Werde ich beim nächsten Mal wieder gelobt?“ 

Wie erkenne ich meine Persönlichkeit? 

Wie komme ich mir auf die Spur? Meist geschieht dies über den Umweg von Konflikten. Ich fühle mich plötzlich am Arbeitsplatz unzufrieden und weiß nicht, warum genau? Oft steht dahinter eine fehlende Passung von Person, Aufgabe und Rahmenbedingungen. Aber was genau passt nicht? So kann sich z.B. eine Mitarbeiterin kontrolliert fühlen. Sie ist genervt. Wir erarbeiten daraufhin im Coaching ihr Persönlichkeitsprofil. Darin wird deutlich, dass sie sehr autonomiebestrebt ist. Es geht ihr also nicht um Macht. Ihr geht es um Freiräume. Mit dieser Erkenntnis kann sie nun ganz anders ihre Erwartungen gegenüber Ihrem Arbeitgeber formulieren und zur Lösung des Konflikts und zur Attraktivität ihres Arbeitsplatzes beitragen. Bei einem anderen ist es gerade umgekehrt. Er sucht die Macht. Darum will er andere herausfordern, provozieren und konkurriert mit ihnen. Wird ihm dies bewusst und wird er darin akzeptiert, kann er damit gezielter umgehen. Dann richtet er seinen Ehrgeiz vielleicht weniger gegen die eigenen Kollegen, sondern er wird sich Aufgaben suchen, bei denen er sich gegenüber der Konkurrenz und gegenüber anderen Anbietern ganz im Auftrag der eigenen Organisation profilieren kann. 

Jede Person verfügt über ein charakteristisches Repertoire an Einstellungen und Fähigkeiten, um Aufgaben gut zu bewältigen. So entstehen unterschiedliche Persönlichkeitstypen, die sich z.B. in ihrer Art, wie sie Entscheidungen fällen oder Informationen verarbeiten, wie sie mit Menschen umgehen oder an Aufgaben herangehen, deutlich unterscheiden und in charakteristischer Weise beschreiben lassen. Diese Profilmerkmale herauszuarbeiten und produktiv mit den Aufgaben und dem Arbeitsumfeld zu verknüpfen, erleben Mitarbeitenden als wertschätzend. Sie fühlen sich tatsächlich gesehen. Das erzeugt Motivation und es bildet sich eine nachhaltige Bindung an das Unternehmen heraus. 

Berufliche Profilbeschreibung müssen nicht in aufwändigen Assement-Centern, sondern sie können individuell durch Profilerhebungen erstellt werden. Als Beispiele für professionell erstellte Profile wären hier zu nennen das Bochumer Inventar für berufsbezogene Persönlichkeitsbeschreibung (BIP) ® oder das Team-Management-System (TMS) ®. 

Eine Einführung in beide Instrumente vermittelt unsere Akademie. Wir integrieren professionelle Profilerhebungen in unser Fortbildungs-Portfolio für Leitende. Leitende lernen so, Persönlichkeitsprofile zu erkennen und kommunikativ in ihr praktisches Leitungshandeln einzubetten. In einem wertschätzenden Dialogformat entfalten Profile ihr Potential und bringen Früchte für ihr Unternehmen. 


Tilman Kingreen, akd Studienleiter