Unser Newsletter Juli 2024

In dieser Ausgabe haben wir inhaltliche Beiträge präsentiert von unseren Kolleg*innen 
Dr. Ricarda Schnelle, Robert Wieczorek und Dr. Lars Charbonnier. In dieser Reihenfolge finden Sie diese Beiträge hier.

Hör auf hier zu predigen, 
hör auf mit der Laberei

1990 veröffentlichte Herbert Grönemeyer sein Album „Luxus“. Im gleichnamigen Song heißt es: „Hör auf hier zu predigen, hör auf mit der Laberei. Wir feiern hier `ne Party und du bist nicht dabei.“ Ironisch kritisiert Grönemeyer das politisch passive Luxusleben zu Beginn des neuen Jahrzehnts.

Nicht mehr gehört zu werden, nicht mehr mitfeiern zu dürfen bei der Party – das ist eine bittere Erfahrung. Menschen, die in der Kirche in verantwortungsvollen Positionen arbeiten fragen sich häufig: Will überhaupt noch jemand hören, was ich zu sagen habe? Das in Worte zu bringen, was mich bewegt, was ich sagen will, ist eine Herausforderung. Vor allem, wenn die Führungsposition viele geschliffene Wortbeiträge verlangt: Die kreative Eröffnung des Meetings, das Grußwort bei einer Veranstaltung oder bei Theolog*innen die Predigt. Bis ich nichts mehr zu sagen habe. Je höher die Position, desto eher werden Worte auch von anderen verfasst. Von Referent*innen oder Redenschreiber*innen. Aber das macht es oft auch nicht besser: Der innere Prozess, die eigene Botschaft ins Wort und damit am Ende nach außen zu bringen, ist anstrengend und gleichzeitig immens wertvoll. Da gehen die Gedanken durch Herz und Hirn, wachsen und verändern sich. Das konzeptionelle Schreiben von Wortbeiträgen, gerade in der kirchlichen Führungspraxis, hat eine lange Tradition, ist erlerntes Handwerk und kann immense Kraft entfalten. Wenn es der Rednerin gelingt, ihre Mission in eine Form zu bringen, die auch wahrgenommen wird. 

Zurück zu Herbert Grönemeyer: „Hör auf hier zu predigen, hör auf mit der Laberei.“ Wer nicht mehr gehört wird, kann auf der Party nicht mittanzen. Ich denke dabei nicht nur an den allgemeinen Relevanzverlust der Kirchen in der Gesellschaft. Auch innerhalb der kirchlichen Organisationen ist es eine Herausforderung gehört zu werden. Auch bei Mitarbeiter*innen. Woran liegt das? Zum einen hat sich die Aufmerksamkeitsspanne im Zuhören enorm verkürzt. Zum anderen leidet die Kirche auch in ihrem Inneren unter einem Relevanzverlust. Warum jemand in der jeweiligen Organisation arbeitet und dabei Sinnhaftigkeit erlebt, hat individuelle Gründe. Dabei zu bleiben, die eigene Kraft in die Organisation zu investieren und sich mit ihren Werten und Zielen zu identifizieren, ergibt sich dabei nicht von selbst. Die Führungsperson ist es, die als Person die Organisation symbolisiert und die zum Ausdruck bringen muss, warum sie für eine Vision einsteht und warum es sich lohnt, Teil der Organisation zu sein. Wer diese eigene „Mission“ als Führungsperson nicht geklärt hat, kann sie auch nicht überzeugend ins Außen bringen. 

Was kann helfen? Dazu drei Gedanken:

Zeit für innere Klärung nehmen

Etwas zu sagen zu haben, setzt immer die innere Klärung voraus. Erst dann folgt die Form. Sich für diesen Prozess immer wieder Zeit zu nehmen, sei es in der beruflichen Peer-Group, in Supervision, Coaching oder einer Weiterbildung, ist Teil und Aufgabe der Führungsarbeit.

Wortbeiträge sorgfältig vorbereiten 

Erfahrung, Routine und tägliche Arbeitsbelastung können dazu verführen, Beiträge nicht mehr sorgfältig vorzubereiten. Spontan zu improvisieren führt oft zur besungenen „Laberei“. Wortbeiträge sorgfältig vorzubereiten lohnt sich, sei es die Moderation des Teammeetings, ein kurzes geistliches Wort oder die Ansprache bei der Verabschiedung einer langjährigen Mitarbeiterin. Dabei in angemessener Kürze inhaltliche Tiefe zu bringen und dabei als Person in Sprache und Form sichtbar zu werden, erfordert präzise handwerkliche Vorbereitung. 

Neue Formen nutzen

Trotz guter Vorbereitung gelingt es nicht immer, dass das Wort gehört und wirksam wird. Es braucht andere Formen, die gerade in der medial geprägten Welt vertraut sind. Ein Beispiel möchte ich vorstellen: Das Foto. Wie kann das, was ich sagen will, im Foto wirksam werden? Wie zeige ich mich selbst als Führungsperson und wie setze ich meine Organisation ins Bild? Fotos in der eigenen Führungspraxis gezielt einzusetzen, entspricht den Sehgewohnheiten der Menschen und kann Inhalte und Botschaften wirksam verdichten. 


Zeit für die innere Klärung nehmen, Wortbeiträge sorgfältig vorbereiten und neue Formen nutzen: Das alles kostet Zeit. Und Zeit ist Luxus. Aber es ist ein anderer Luxus als der austernschlürfende Partyluxus zu Beginn der 1990er Jahre, den Grönemeyer aufs Korn nimmt. Es ist ein Luxus, der ermöglicht, dass die eigene Botschaft wirksam werden kann. Und genau da findet die Party statt.


Dr. Ricarda Schnelle, Studienleitung akd

Wer viel zu sagen hat, 
braucht wenig Worte!

Der Umriss eines Körpers ist ein wesentliches Merkmal, um Menschen auch aus der Entfernung eindeutig identifizieren zu können. Die Körperhaltung, Größe und die Art und Weise, wie sich jemand  bewegt, sind Faktoren, die eine große Wirkung auf uns haben. Und wir haben sehr früh gelernt, die Signale des Körpers zu »lesen« bzw. deren Bedeutung zu entschlüsseln. Es macht einen großen Unterschied für uns, ob ein Mann zwei Meter groß, muskelbepackt ist und sich schnell bewegt oder ob er wir es mit einem kleinen, alten Mann zu tun haben, der eine Gehhilfe benutzt. 

 

Wir senden und empfangen permanent körpersprachliche Signale, die wir in Sekundenbruchteilen in unserem Unterbewusstsein entschlüsseln und bewerten. Köpersprache und -haltung sind wesentliche Themen in den darstellenden Künsten und gewinnen zunehmend an Bedeutung im Business-Kontext, wenn es beispielsweise um Präsentationsfähigkeiten geht. Welche Schlüsse man aus körpersprachlichen Signalen ziehen kann, füllt viele Bücher und es überrascht nicht, dass sich eine ganze Industrie mit Körperwahrnehmung beschäftigt.

 

In der Mode und Werbung hat besonders der Umgang mit der weiblichen Körperform groteske Züge angenommen. Neben der Tatsache, dass sich Models auf eine bestimmte Kleidergröße runterhungern müssen, werden sie zusätzlich in der digitalen Bildbearbeitung gestreckt, gestaucht, aufgeblasen und retuschiert. Diese vollkommen verzerrte Frauen-Bild  hat seine Wirkung nicht verfehlt. Junge Mädchen auf der ganzen Welt versuchen verzweifelt, dem gezeigten Idealabild zu entsprechen und müssen zwangsläufig scheitern. Schwarze Frauen benutzen Bleichmittel, um heller zu werden und kosmetische Chirurgie ist mittlerweile im Mainstream angekommen.

 

Kongruentes Verhalten ist wichtig, um als unverfälsch, echt und authentisch wahrgenommen zu werden. Anders formuliert, inkongruentes Verhalten liegt dann vor, wenn das gesprochene Wort, der damit verbundene Tonfall und Ausdruckskraft der Körpersprache nicht zueinander passen, also nicht stimmig sind.

Wenn ich zum Beispiel verbales Interesse bekunde, mich aber mit gelangweilten Gesichtsausdruck von meinem Gegenüber wegdrehe, ist das nicht kongruent.

 

Eine Dekodierung und Bedeutungszuordnung solcher scheinbar allgemein verständlichen, körpersprachlichen bzw. kommunikativen Signale erfolgt in Sekundenbruchteilen und ist tief in uns verankert, weil wir als in Rudeln lebende Säugetieren ganz schnell Freund von Feind unterscheiden müssen.

 

Wenn wir das Gefühl haben, nicht verstanden zu werden, liegt es nahe, die Schuld beim anderen zu suchen.

Gescheiterte Kommunikation erzeugt in der Regel ein Gefühl von Hilflosigkeit, Frustration oder Ohnmacht. Besonders dann, wenn es uns wichtig ist, dazuzugehören.

 

Unser Körper spricht. Permanent. Im Laufe des Kommunikationsprozesses spielt die Körpersprache eine enorm große Rolle. Sie macht ca. 55 Prozent vom Gesamtteil aus, etwa 38 Prozent fallen auf die Stimme die restlichen 7 Prozent gehen auf den Inhalt – also die Worte, die wir sprechen. Während wir mit anderen Menschen kommunizieren, reagiert unser Körper mit sogenannten ideomotorischen Signalen, auch bekannt als Carpenter-Effekt. Es bezeichnet das Phänomen, dass das Sehen einer bestimmten Bewegung sowie – in schwächerem Maße – das Denken an eine bestimmte Bewegung die Tendenz zur Ausführung eben dieser Bewegung auslöst. Zwei Menschen reden miteinander. Einer von beiden schlägt die Knie übereinander und mit ein wenig Verzögerung reagiert das Gegenüber mit einer ähnlichen oder sogar identischen Bewegung. Wenn Menschen bereits sehr vertraut miteinander sind oder sich im Laufe des Gesprächs miteinander vertraut machen und es gut läuft, kann man beobachten, dass sich auch die Körpersprache angleicht. Kleine Gesten werden wiederholt, Sprechgeschwindigkeiten gleichen sich an, ein Lächeln wird gespiegelt und die Körperhaltungen werden symetrischer. Überkreuzungen (Beine, Arme, etc.) lösen sich auf, Puls, Blutdruck, Hautfarbe und sogar Körpergerüche verändern sich. 

 

Wenn es mit der Kommunikation nicht gut läuft, kann man das Gegenteil beobachten. Wir werden unsymmetrischer. Man kann sagen, Menschen mögen Menschen, die sich ähnlich sind und deshalb macht es Sinn, sowohl die Stimme als auch den Körper aktiv einzusetzen, um eine gute Beziehung zum Gegenüber herzustellen. Eine gute Beziehung ist die Voraussetzung für jede Art von Intervention – also eine Maßnahme, die zu Veränderung führt. Eine gute Beziehung basiert auf Vertrauen. Dieses Vertrauen muss erarbeitet werden. Konkret bedeutet das eben, dass mein Körper die selbe Botschaft senden sollte wie meine Worte. Persönlichkeitsentwicklung zielt auf ein mögliches kongruentes und authentisches Auftreten. Der Kommunikationsprozess ist komplex und auch kompliziert. Das fällt, wie schon erwähnt, besonders dann auf, wenn wir die Körpersprache eines andereren Menschen nicht lesen bzw. deuten können. Wir verstehen den »Code« nicht. Welche Bedeutung hat diese oder jene Geste, in welchem Kontext ist sie angebracht und wann nicht? Geschäftsleute, die im Ausland arbeiten, können ein Lied von vielen Mißverständnissen singen. Wie tief verbeuge ich mich in Japan, was mache ich mit der Visitenkarte und wer verbeugt sich vor wem und in welcher Reihenfolge? Es ist aber gar nicht nötig, sich mit interkultureller Kommunikation zu beschäftigen, um zu verstehen, dass unser Körper permanent in »Codes« kommuniziert. Ein Augenzwingern unter Kollegen, ein »Daumen hoch« während der Videokonferenz, ein ausgestreckter Mittelfinger im Straßenverkehr sind nur einige Beispiel für sehr eindeutige Kodierungen. Solange ich die Bedeutungszuordnung verstehe, ist alles klar. Wenn nicht, wird es schwierig. Manchmal benutzen wir unseren Körper auch, um bestimmmte Sachverhalte, Beziehungen oder Situationen darzustellen.

Wenn jemand im Gespräch beispielsweise über etwas Begrenzendes, Einschränkendes oder Umfassendes spricht und gleichzeitig mit den Fingern einen Rahmen in die Luft zeichnet, nennt man das eine sozial-symbolische Geste, die eben etwas über den Inhalt des Gesagten transportiert und das Verständnis beim Zuhörer fördern soll. Und neben den Gesten produzieren wir in Sekundenbruchteilen neue Gesichtsausdrücke, um unsere verbale Sprache expressiv zu begleiten.

 

Robert Wieczorek, akd Unternehmenskommunikation

Die Kraft der Rituale kennen und nutzen

Als Läufer,  Pfarrer und Geschäftsführer nutze ich ständig Rituale. Sie vermutlich auch, oder? Die Tasse Kaffee am Morgen, der Ringtausch bei der Trauung, der Glücksbringer in der Tasche, die Teamsitzung auf Arbeit, der geistliche Impuls vor der Sitzung, die Einführung neuer Mitarbeitender, der Jubeltanz beim Torerfolg, die Bestattung, der Ablauf eines Streites zweier Lebenspartnerinnen – jeder Mensch kennt Rituale, jeder Mensch vollzieht Rituale. Für den Aufbau und die Bewahrung von Organisationskultur oder in der Frage, was insbesondere das Christliche in einer Organisationskultur in der Diakonie ausmacht, sind Rituale wesentlich. In ihnen wird äußerlich sicht- und erlebbar, was an Innerem lebendig ist (oder zumindest einmal war). 

Sie sind aus meiner Sicht auch für die Selbstführung von zentraler Bedeutung. Meine Laufrunde startet immer mit dem gleichen Fuß zuerst, dem ich zuletzt den Schnürsenkel zugebunden habe. Wenn ich den Talar anziehe, komme ich leichter in die Rolle des Liturgen, der nun deutlich mehr darzustellen hat als sich selbst. Als Geschäftsführer helfen mir bewusste Körperübungen zwischen Terminen, den Kopf wieder frei und das Herz wieder empfindsam zu bekommen – und auf dem Weg ins Büro und abends nach Hause höre ich zum Übergang ganz bestimmte Lieder.  

Was genau ein Ritual jeweils ist und warum es das ist, beschreibt sich gar nicht so einfach. Viele würden vermutlich zustimmen: Ein Ritual ist eine Handlung, die regelmäßig passiert. Aber sogleich wird einem einfallen: Das ist das Leeren der Abfalltonnen durch die Müllabfuhr doch auch. Manches ist vielleicht streng genommen gar kein Ritual, was wir dazu machen oder so nennen, sondern eher eine Routine oder ein Prozess? Gibt es weitere Merkmale, die routinisierte oder prozesshafte Handlungen erst zu einem Ritual machen? Müssen es beispielsweise mehrere Beteiligte sein? Was ist dann mit der Tasse Kaffee, dem stillen Gebet oder dem Lied vor dem Einschlafen? Muss das, was im Ritual passiert, eine über den Alltag hinausgreifende Bedeutsamkeit haben – was ist dann mit dem lieb gewonnenen Ehestreit, der Teamsitzung, mit Ritualen im Sport oder beim Rockfestival? Muss es eine besonders feierliche Prozedur, gar eine traditionell überlieferte Form geben – was ist dann mit dem frei gesprochenen Gebet zur festen Tageszeit, dem persönlichen Glücksbringer, dem Checkin-Ritual auf Arbeit? 

Das Ritual entspringt dem religiös-kultischen Bereich. In der christlichen Tradition wird alles gottesdienstliche Handeln unter dem Begriff des Ritus verhandelt, der wiederum unterschiedliche Rituale enthält. Ein frischer Wind kommt in das Verständnis des Ritualbegriffs im späten 19. Jahrhundert: Der Gegenstandsbereich wird ausgeweitet und das Ritual etabliert sich am Ende des 20. Jahrhunderts als kulturwissenschaftliches Konzept. Beschrieben wird nun die Funktion von Ritualen zur Schaffung und Bestätigung insbesondere sozialer Ordnungen. So untersuchten die Sozialwissenschaften Formen des rituellen Handelns im Blick auf seine Funktionen für Gruppen und Gesellschaften, auf seine identitätssteigernden Wirkungen, auf seine Macht und Hierarchie festigenden Aspekte oder auch seine ganze Gesellschaften entlastende Funktionen. In den Kulturwissenschaften wurde und wird neben dem bewahrenden und identitätsstiftenden Aspekt von Ritualen für Einzelne wie Gemeinschaften auch die kreative und darin immer auch performative und ästhetische Seite rituellen Handelns beleuchtet. Auf individueller Ebene waren erst die vermeintlich negativen Seiten rituellen Handelns im Blick, wenn Sigmund Freud Zwangshandlungen untersuchte. Mittlerweile sind diese Ebenen auch theoretisch gut verknüpft. Die anthropologischen Einsichten von Arthur van Gennep und Victor Turner lassen sich in vielerlei Weise gewinnbringend übertragen: Die Hauptfunktion der Übergangsriten ist es demnach, Sicherheit angesichts von Unsicherheit herzustellen. Zentral ist dem Turnerschen Konzept der Begriff der Liminalität, also eines mit Unsicherheit behafteten Grenzbereiches, der durch das Ritual begangen und damit auch durchschritten wird. Klassisch sind die von ihm untersuchten Rituale deshalb in der Regel in drei Phasen gegliedert: einer Trennungsphase, in der eine Lösung vom bisherigen Status stattfindet, dann die Schwellenphase bzw. Liminalität, die den Übergang markiert, bevor sich dann die Phase der  Wiedereingliederung anschließt, in der der neue Status des im Mittelpunkt stehenden Individuums oder der Gemeinschaft/Gruppe steht. Das kann eine insgesamt sehr kurze Sequenz sein (Binden von Schnürsenkeln und er erste Schritt) oder in vielen Handlungsketten sich ausweiten. Die Kraft und die Mittel zur Gestaltung dieser Übergänge entwickeln die Rituale mit Hilfe starker Symbole, die im Ritual ihre feste Form bekommen und so eine identitätsstiftende und häufig auch den Alltag bzw. die konkrete Situation überschreitende Funktion erfüllen.

Das hat für mich als Theologen auch sehr passende Schnittstellen mit der Religionstheorie: Denn wenn Religion in seiner Funktion dazu dient, Unsicherheit oder Kontingenz zu bewältigen, kommt Ritualen auch hier genau die Aufgabe zu, die Unordnung der chaotischen Welt in Ordnung zu verwandeln. Durch Wiederholung wird diese immer wieder symbolisch und szenisch wiederhergestellt und das vollzieht sich in allen menschlichen Lebensbereichen. In heutigen Debatten wird deshalb weniger die Starrheit der Rituale betont als ihre Individualität und kreative Generierung. So werden traditionelle Rituale hinterfragt, alte wiederentdeckt (etwa das Pilgern, Scheidungsrituale, Schweigen als Form des Beginns von Meetings oder die Salbung im Zusammenhang mit Krankheit und Tod) oder neue entwickelt oder verstärkt (Einschulung, Übergang in den Ruhestand, geregelter Teamlunch, digitale Trauerportale).

Identität bilden, Rollenklarheit sichtbar machen, Übergänge gestalten, Handlungssicherheit herstellen, Gemeinschaft stiften, Ordnung stabilisieren inmitten von Unordnung, diese Funktionen sind heute auch in der Arbeitswelt für den Einzelnen wie für Teams und ganze Organisationen mehr denn je nötig. Rituale sind ein wesentliches Element, um inneren Haltungen eine äußere Gestalt zu geben – oder anders herum: mit äußerer Gestalt auf innere Haltung einzuwirken. Deshalb sind Rituale Schlüssel zur äußeren Formgebung innerer Zustände und sollten mit viel Achtsamkeit gestaltet oder entwickelt werden.

 

Dr. Lars Charbonnier, Geschäftsführer der akd