Unser Newsletter April 2025
In dieser Ausgabe finden Sie inhaltliche Beiträge von unseren akd Kolleg*innen Franziska Woellert, Robert Wieczorek, Dr. Gabriele Beckert
Elefanten sichtbar machen
Bild: Franziska Woellert
Ich beginne diesen Text mit einem Bekenntnis: Ich bin Geografin. Als solche bin ich trainiert darauf, überall nach Mustern, Strukturen und Zusammenhängen zu suchen – in Ökosystemen, in sozialen Systemen und in der Interaktion zwischen beiden. Nun bin ich seit fast zehn Jahren im Kontext von Kirche und Diakonie tätig. Und bei aller „Passion“ für meine Arbeit – manchmal verzweifle ich. Statt an Mustern und Strukturen zu arbeiten, steht hier allzu oft der Mensch mit seinen Bedarfen im Mittelpunkt.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich arbeite total gerne mit Menschen zusammen, deren Ziel ist es, sich für die Hilfsbedürftigen und für ein besseres Miteinander einzusetzen und das möglichst wertschätzend und auf Augenhöhe. Aber: wir tun dies in ORGANISATIONEN. Das heißt, wir bilden Systeme aus Strukturen, Spielregeln und Abläufen, die so gut zusammenwirken, dass wir unseren Zweck gut erfüllen können. Geht man nach der klassischen Systemtheorie von Niklas Luhmann spielen Menschen dabei gar keine Rolle, denn Menschen in Organisationen sind leicht austauschbar – Strukturen nicht.
Ein beliebtes Bild, um dies zu verdeutlichen, ist die Wiese auf einem Uni-Campus, die von verschiedenen Gebäuden mit Hörsälen etc umrahmt wird. Obwohl es angelegte Wege um die Wiese herum gibt, haben sich Trampelpfade entlang der kürzesten Verbindung zwischen einem Gebäude zum nächsten herausgebildet. Diese Trampelpfade werden bleiben, egal welche Generation von Studierenden sie nutzt – den sie erfüllen einen eigenen Zweck (schnell von a nach b kommen). Natürlich könnte man anfangen, den Studierenden beizubringen, dass es der Wiese deutlich besser gehen würde, wenn sie nicht einfach darüber laufen. Doch solange der Zweck nicht verändert wird (schnell in die Vorlesung kommen) oder sich die Strukturen anpassen (zum Beispiel der Bau von Zäunen um die Wiese), verändert sich nichts.
In Kirche und Diakonie erlebe ich es dagegen oft, dass der erste Impuls zur Veränderung zu den Menschen führt: In der Abteilung XY läuft es nicht gut – schicken wir die Leitung auf eine Fortbildung. Wir bekommen ein neues Buchhaltungssystem – lasst uns die Mitarbeitenden schulen. Das Team ist unzufrieden – machen wir ein Teamevent. Wir sind alle überlastet – lass uns ein Meeting dazu abhalten. Über Abläufe, Strukturen und Spielregeln wird dagegen seltener gesprochen und noch seltener gezielt daran gearbeitet – sie sind der Elefant im Raum
Ich arbeite in einer Akademie – natürlich halte ich Weiterbildungen für sinnvoll. Und die zwischenmenschlichen Beziehungen zu stärken ist nie verkehrt. Nur: allein über eine Weiterbildung oder ein Teamevent verändert sich noch keine Organisation. Also, wie den Elefanten sichtbar machen?
Hier hilft die systemische Brille weiter, mit der sich zum einen direkt nach der Struktur fragen lässt: Was sind eigentlich unsere Kernaufgaben? Wie sind Aufgaben verteilt? Ist jedem seine/ihre Rollen klar? Welche Prozesse könnten angepasst werden? Und zum anderen kann mit systemischen Fragen der Sinn hinter zu beobachten Phänomen ergründet werden: Welchen guten Grund hat es, dass unsere Abläufe genau so sind? Was hat das System davon, so zu bleiben, wie es ist? Was erhalten wir, in dem wir es nicht anfassen?
Ich habe selbst zwei Jahre in Namibia gelebt und im Bereich human-wildlife-conflict gearbeitet. Ich weiß, dass mit Elefanten nicht zu spaßen ist! Aber Wege zu finden, mit Ihnen umzugehen, ist einfach nur toll! Wie gehen Sie mit den Elefanten in Ihren Organisationen um?
Franziska Woellert, akd Studienleitung
„Ya mon“
Bild: Robert Wieczorek
2008 waren meine Frau und ich auf Jamaika. Der Auftakt zu einer einjährigen Weltreise, die uns, wenn man es pathetisch ausdrücken möchte, auf links gedreht und transformiert hat. Und zwar durch neue Eindrücke und Umstände, an die wir uns täglich anpassen mussten. Das fing ziemlich harmlos im jamaikanischen Supermarkt an und endete spektakulär auf 5000 Metern Höhe im Himalaja.
Warum erzähle ich das?
Jamaika ist nicht Deutschland: Andere Umgebung, andere Leute, anderes Essen, einfach alles anders. Im Supermarkt wird Zucker in Mehltüten gepackt und Verpackungen muss man schon genau ansehen, um zu wissen, was drinsteckt. „Ya mon“ bedeutet nicht „yes, man“, sondern „okay“, „no problem“ oder einfach auch nur „hello“. Trivial und doch der Auslöser für meine Transformation. Wie passe ich mich an die neuen Gegebenheiten an, was ist mir wichtig, was brauchen die Leute, mit denen ich zu tun haben werde? Wie will ich sein und wie muss ich sein, wenn ich eine gute Zeit haben will? Und das mit dem Wissen, dass dieser Zustand nicht in zwei Wochen vorbei ist, sondern dass ich mich für 12 Monate auf ständige Veränderung einstellen musste.
Auslöser für den Wunsch nach Transformation ist ein grundlegender Wechsel des Ist-Zustandes, häufig in Form einer existenzbedrohenden Krise. Was dann als Reaktion darauf folgt, ist allerdings meist keine Transformation, sondern eine Reihe von Veränderungen, die einem das Gefühl geben, etwas getan zu haben. Was dabei übersehen wird: Veränderungen können wieder rückgängig gemacht werden und das werden sie auch oft, wenn die Krise überstanden ist. Bei einer Transformation geht das nicht, denn sie verändert den Wesenskern: Die Identität, Werte, Überzeugungen und Spiritualität. Das wirft man doch nicht mal eben über den Haufen, vor allem dann nicht, wenn man „schon immer“ so war. Oder doch? Ja und Nein.
Wenn eine kirchlich-diakonische Einrichtung oder Organisation ihr Logo, ihren Namen und wesentliche Merkmale des eigenen Erscheinungsbildes verändert, ist das ein deutlich nach außen gerichtetes Zeichen für eine Transformation. Es geht nicht nur um ein paar kosmetische Veränderungen, sondern um einen drastischen Eingriff, der der Welt zeigen soll, dass sich nicht nur das Äußere, sondern auch Inhalte geändert haben. Transformation bedeutet dabei nicht, dass alles anders sein muss und alles Alte über Bord geworfen werden muss. Sondern dass man kritisch prüft, was gehen muss und was bleiben kann, was ein Update braucht und wie man sein Angebot ergänzen kann.
So ein Transformations-Prozess ist anstrengend, emotional und braucht Mut und Visionen. Ist die inhaltliche Arbeit abgeschlossen, müssen die Ergebnisse dann in ein neues, d.h. den Inhalten entsprechendes Design überführt werden. Als Backpacker laufen inhaltliche Arbeit und visuelle Umsetzung nicht unbedingt linear ab. So sind wir mit Funktionskleidung und Outdoor-Schuhen losgezogen (das machen die anderen ja schließlich auch so) und haben dann gemerkt, dass das nichts für uns ist – und auch nicht in jedem Land passt. Was wir noch relativ einfach korrigieren konnten, ist beim Corporate Design nicht so einfach zu machen. Hier ist es wichtig, dass die Inhalte feststehen, bevor man sich an die Gestaltung macht. Dann kann man seiner Transformation mit Farben, Schriftarten, Bilder und Namen ein Gesicht geben.
Robert Wieczorek, akd Unternehmenskommunikation
Gesundheitswesen 2025: Technologie meets Menschlichkeit
Bild: Freepik
Die Welt befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch, politisch, ökologisch, sozial und technologisch. Die Corona-Pandemie wirkte als Katalysator für digitale Innovationen: Beispielsweise nutzen Krankenhäuser bereits 5G-Netzwerke, um durch Telechirurgie medizinische Ressourcen effizienter zu nutzen. Künstliche Intelligenz (KI) hat die medizinische Bildinterpretation revolutioniert, ebenso Operationsroboter. Pflegeroboter unterstützen bei der Grundpflege, entlasten das Personal aber nicht vollständig, Büroarbeit wird im Homeoffice durchgeführt, aber die menschliche Zuwendung bleibt zentral. Bei den Menschen blieben als Nachwirkungen der Corona- Maßnahmen Erschöpfungssyndrome, Existenzängste, Vereinsamung zurück. Bei den Unternehmen rücken nun Fragen der Nachhaltigkeit, seelischen Gesundheit und gesellschaftlichen Resilienz in den Fokus. Immer mehr Führungskräfte schauen nach ganzheitlichen Ansätzen, um nicht nur wirtschaftlich erfolgreich, sondern auch gesellschaftlich verantwortungsvoll zu agieren.
Jenseits institutionalisierter Religionen gewinnt Spiritualität an Bedeutung. Studien belegen, dass spirituelle Resilienz Ängste reduziert, Stress abbaut. Die Bedeutung spiritueller Gesundheit wird als unverzichtbare Dimension im Total Health Concept der WHO Definition von Palliative Care benannt. Spiritual care gibt neben medizinischer Behandlung existentiellen Fragen Raum.
Spiritualität im Unternehmenskontext, oft missverstanden als esoterische Praxis, erweist sich dabei als kraftvoller Hebel für eine tiefgreifende Transformation, im Sinne einer Neuausrichtung von Organisationskulturen und Führungsstrukturen. Spiritualität in Unternehmen bedeutet eine wertorientierte Haltung, die Mensch, Umwelt und langfristigen Erfolg ins Zentrum stellt. Wie Jens Riese betont, darf die Seele, die eigenen Werte und innersten Überzeugungen nicht wie einen Mantel am Kleiderständer hängen und zum Feierabend wieder angezogen werden, sondern man muss sie mitnehmen in die Arbeit. Unternehmen und Spiritualität sind keine Gegensätze, sondern sie ergänzen sich, die Zukunft gehört Unternehmen, die technologischen Fortschritt mit Menschlichkeit verbinden, der Schlüssel liegt in Gleichgewicht zwischen Hightech und Herz. Spiritualität kann hier Brücken bauen, zwischen Mensch und Maschine, zwischen Gegenwart und Zukunft.
Vor vielen Jahren absolvierte ich im Rahmen einer Weiterbildung ein Praktikum in einem Krankenhaus in NRW und ein Praktikum in einem anthroposophischen Krankenhaus in Baden-Württemberg. In NRW gab es zu dieser Zeit eine Krankenschwester, die bei Patient:innen den Versuch unternahm sie „gesund zu beten“, das hatte eine Reduzierung der Patient:innenbelegung auf der Station zur Folge, bis die Leitung davon erfuhr, was „das Kind schon in den Brunnen gefallen“. In der anthroposophischen Klinik dagegen wurde versucht eine ganzheitliche Versorgung durch zusätzliche Therapien, wie Auflagen, Wickel, Einreibungen, verbunden mit der Zuwendung zu allen Patient:innen, umzusetzen, die Zufriedenheit der Patient:innen für mich beeindruckend.
Doch wie gelingt eine sinnvolle Umsetzung?
Eindeutige Qualitätskriterien sind notwendig um spirituelle Angebote vor Instrumentalisierung zu schützen. Spiritualität braucht veränderte Rahmenbedingungen in der Professionalität: d.h. alle Mitarbeitenden müssen geschult werden, Spiritualität darf nicht die Therapie ersetzen, Spiritualität kann sie nur ergänzen und sie muss für alle zugänglich sein, unabhängig von Hierarchie und Glauben.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Berufsethik, der eigenen Spiritualität trägt dazu bei, dass die Geisteshaltung einer sozialen Einrichtung lebt, so bunt und vielfältig, wie unsere Gesellschaft und den Anliegen der Einzelnen. Soziale, christliche Unternehmen können von anderen weltanschaulichen Prägungen profitieren, denn sie alle haben ein gemeinsames Grundbedürfnis: Menschen in existentiellen Situationen zu helfen.
Gabriele Beckert, akd Studienleitung